Seit Januar 2015 gibt es die eBook-Leseanwendung Adobe Digital Editions nun auch in einer Version für iOS. Schon lange war Adobe DE für Windows und Mac OS eine der Standard-Anwendungen für Lesen und Verwaltung von EPUB-eBooks am Desktop, jetzt steht das Tool auch als iOS-App zur Verfügung. Was kann Adobe DE für iOS, und ist der Einsatz empfehlenswert? Ich habe mir die App einmal ausführlicher angesehen:
Wer beruflich mit eBooks zu tun hat, kommt um Adobe Digital Editions kaum herum: Die Anwendung ist nicht nur als Lese-Software und zur Bibliotheksverwaltung auf Desktop-Geräten eine der populärsten überhaupt, auch liegt das dazugehörige Adobe Reader Mobile SDK vielen anderen Mobile Apps und der Software der meisten eInk-Reader zugrunde. Die Software bringt eBook-Produktioner zwar wegen ihrer subtilen Ignoranz gegenüber CSS-Regeln und Standards regelmäßig zur Verzweiflung, aber aufgrund des Verbreitungsgrades ist sie als Testplattform für den deutschen Markt nahezu unerläßlich. Lange schon wurde vermutet, dass Adobe irgendwann auch einmal selber eine mobile Version publizieren würde, insofern war ich durchaus gespannt, wie sich die iOS-Version anfühlt.
ADE für iOS gibt es als kostenlosen Download im iOS-Appstore, die App ist aktuell nur für das iPad optimiert und liegt in der Version 4.0 vor. ADE für iOS ist damit funktional identisch zur ADE 4.0 für Desktop bzw. zum Adobe RMSDK 10, allerdings gibt es bisher nur eine englische Version der App.
Befüllung und Bibliotheksverwaltung
Die App ist im Gegensatz zu vielen anderen EPUB-Readern nicht mit einem eBook-Shop verbunden, d.h. Titel können nicht direkt über die App gekauft werden. Die App meldet sich unter iOS 7 / 8 aber sauber als EPUB-Reader beim Betriebssystem an und ermöglicht so die Befüllung per Sideloading aus anderen Anwendungen, etwa aus dem iOS-Mailclient, Dropbox oder dem Browser-Interface von Safari Mobile. Daneben ist die App in der Lage, durch die Hinterlegung einer Adobe ID auch Titel zu lesen, die mit dem Adobe DRM verschlüsselt sind.
Die in EPUB-Anwendungen übliche Bibliotheks-Ansicht der Titel ist Flat Design-mäßig gestaltet und macht einen angenehm aufgeräumten Eindruck. Die eBooks werden mit Coverbild, Titel und Autor angezeigt und lassen sich nach Titel, Autor, Kaufdatum, Lesefortschritt und Zufallsprinzip sortieren. Eine Besonderheit ist die Anzeige des Lesefortschritts direkt am Titel.
Grundfunktionen der Anwendung
Ruft man zum ersten Mal ein eBook in der Leseansicht auf, fällt zunächst vor allem ins Auge, dass der Querformat-Modus, den die meisten Tablet-Nutzer verwenden, etwas eigenwillig gestaltet ist: ADE wählt hier nicht wie die meisten anderen Lese-Apps eine Darstellung mit „Doppelseiten“, sondern nutzt das komplette Querformat für einen breiten Satzspiegel aus. Navigiert wird dann aber trotzdem durch Blättern, und nicht durch Scrollen, wie es die Ansicht nahelegen würde, wenn man beispielsweise den Scrollmodus von iBooks gewohnt ist.
Der Querformat-Modus ist durch den extrem breiten Satzspiegel sehr gewöhnungsbedürftig zum Lesen, für längere Texte sind die Zeilen einfach zu lang, um flüssig lesen zu können. Im Hochformat präsentiert sich der Text dagegen fast „buchartig“, hier macht das zurückgenommene Interface auch einen sehr guten Eindruck.
Funktional hat ADE für iOS weitgehend dasselbe zu bieten, was andere Apps als De-Facto-Standard auch realisieren:
- Beim Tippen auf Worte im Text können Markierungen und Notizen hinterlegt werden, ein Button erlaubt das Anbringen von Lesezeichen.
- Über das Sandwich-Menü kann auf Bibliothek, Coverbild, Inhaltsübersicht, Lesezeichen und Markierungen/Notizen zugegriffen werden. Kleiner Usability-Flaw: Ausgerechnet für den Zugriff auf die Inhaltsübersicht – die wahrscheinlich am meisten benutzte Funktion beim Lesen – sind zwei Bedienschritte statt sonst einer erforderlich. Das hätte man besser lösen können.
- Die Einstellungen erlauben die Anpassung von Schriftgröße und Seitenrändern, allerdings nicht – wie sonst in vielen Apps üblich – die Einstellung verschiedener Schriftarten. Dafür stellt die App im EPUB eingebettete Fonts problemlos dar.
- Daneben ist die Helligkeit des Displays einstellbar, und es stehen insgesamt fünf Themes für die Anpassungen von Schrift- und Hintergrund-Farbe zur Verfügung. Was sich die Adobe-Designer allerdings beim in knallrosa gehaltenen Theme „Blush“ gedacht habe, muss mir einmal jemand in Ruhe erklären…
- Volltext-Suche und eine Protokollierung/Anzeige der Lesezeit im Titel vervollständigen die Funktionen.
ADE für iOS realisiert mit diesem Funktionsumfang in etwa das, was in der eBook-Welt inzwischen als Standard angesehen werden kann, ohne dabei aber besonders innovative Ideen zu realisieren. Im Detail ist die Implementierung aber durchaus solide und stabil, lediglich beim Sideloading von großen EPUB-Dateien stürzt die App gelegentlich ab.
EPUB3 und fortgeschrittene Funktionen
Von der Adobe DE-Version 4.0 für Desktop hat die App unter anderem auch eine sehr weitgehende Unterstützung für EPUB3 geerbt. Soweit ich das aus zwei wirklich anspruchsvollen Testtiteln beurteilen kann, werden alle zentralen Features für die Produktentwicklung realisiert: Eingebundene Multimedia-Dateien werden abgespielt, hinterlegter Javascript-Code und auch komplexere Canvas-Anwendungen laufen sauber ab, drücken aber zum Teil (wie in der Desktop-Version auch) sehr auf die Performance der Anwendung. ADE für iOS unterstützt sowohl Reflow EPUB3 als auch Fixed Layout-EPUB3 und stellt dieses auch sehr sauber dar. Allerdings wirkt die Darstellung je nach Seitenlayout des Originaltitels manchmal etwas unproportioniert auf einem iPad-Display – das allerdings ist ein grundsätzliches Problem von Fixed Layout-eBooks.
Fazit
Wer EPUB-eBooks auf dem iPad lesen möchte und eventuell auch eine größere Bibliothek von Titeln besitzt, die mit Adobe DRM verschlüsselt sind, dem steht mit Adobe DE für iOS eine durchaus solide, wenn auch nicht spektakulär gute Reader-App zur Verfügung. Spannend könnte es in der Zukunft noch werden, wenn die angekündigte Funktion zur Synchronisierung von Titeln und Lesefortschritt über mehrere Plattformen hinweg realisiert wird.
Allerdings habe ich mich nach dem zweiten Blick auf die App gefragt, wo eigentlich – vor allem im deutschen eBook-Markt – die Zielgruppe für die Anwendung ist: Für Kunden von Amazon und Apple kommt die Verwendung schon wegen der nicht kompatiblen DRM-Systeme nicht in Frage. Leser, die sich bei einem der Tolino-Partner oder bei Kobo mit eBooks versorgen, erhalten mit den direkt an die Shops angekoppelten Apps eine deutlich komfortablere Lösung. Und iOS-Nutzer mit einer DRM-freien eBook-Bibliothek sind letztlich mit iBooks als eBook-App besser bedient. Für eBook-Produktioner in Verlagen und bei Dienstleistern mag es schon aus Test-Gründen durchaus angenehm sein, die ADE auch in einer iOS-Version zur Verfügung zu haben – für alle anderen Zielgruppen macht die App ein wenig den Eindruck einer Lösung auf der Suche nach ihrem Problem.