Die Book Industry Study Group (BISG), eine der einflussreichsten Branchen-Organisationen der amerikanischen Verlagsbranche, hat am Anfang August in einem Policy-Statement ihre Unterstützung für EPUB 3 als „den anerkannten und bevorzugten Standard“ für das Publizieren mit Web-Technologien ausgesprochen.Die demonstrative Erklärung der BISG kommt sicher nicht von ungefähr – auch ein dreiviertel Jahr nach Veröffentlichung von EPUB 3 ist noch kein Reader in Sicht, der die Spezifikation auch nur annähernd vollständig unterstützt.Und gerade die großen Ökosystem-Anbieter tun sich offenkundig schwer damit, die neueste eBook-Generation nachhaltig zu implementieren.
Dies zeigt insbesondere die Übersicht über die Unterstützung von EPUB 3 durch die Reader-Hersteller, das „EPUB 3 Support Grid“, das von der BISG veröffentlicht und gepflegt wird: Keine der hier vertretenen Plattformen kann auch nur annähernd die komplette Bandbreite der EPUB 3-Features darstellen. Apple hat in seinem Reader etwa das an Unterstützung realisiert, was bereits Anfang des Jahres als proprietäre Erweiterung von ePub 2.0.1 möglich war, Google tut sich zwar mit seinem Support für das Readium-Projekt des IDPF hervor, kommt aber offenbar mit dem Nachziehen seiner eigenen Reader-Umgebung nur schleppend voran, Amazon fällt mit seiner KF8-Plattform ohnehin aus dem Rahmen.
Die eigentliche Überraschung sind zwei hierzulande nahezu unbekannte Firmen: Am weitesten mit der EPUB 3-Unterstützung ist der singapurianische Software-Hersteller Infogrid Pacific mit seinem Azardi-Reader, der sich allerdings hauptsächlich an eReader-Hersteller zur Verwendung als Firmware richtet – eine Consumer-Version ist daneben für Windows auf Desktop, sowie als Browser-basierte Online-Lösung verfügbar und dürfte momentan die beste Plattform für Tests mit EPUB 3-Daten darstellen. Daneben tut sich Ingram aus den USA mit seinem Reader VitalSource Bookshelf hervor, der ebenfalls verblüffend viele EPUB 3-Features realisiert – der Reader ist für Windows, Mac OS, iOs und den Kindle Fire verfügbar.
Gleichzeitig zeigt der Blick auf die Excel-Übersicht der Feature-Unterstützung aber auch recht deutlich, warum die Unterstützung von EPUB 3 so lange auf sich warten läßt: Gegenüber ePub 2.0.1 ist EPUB 3 eine deutlich komplexere Spezifikation mit einer enormen Menge an einzelnen Features, die an vielen Stellen auch schwer umsetzbare Abhängkeiten untereinander für die Implementierung in einem Reader beinhalten. Der Umstieg von der weitgehend statischen Textdarstellung aus der letzten eBook-Generation zu einem Daten-Format mit komplexen Visualisierungs-Anforderungen wie Vektorgraphiken mit SVG oder Formelsatz mit MathML dürfte an Layout-Engines bereits hohe Anforderungen stellen, insbesondere wenn sie an die Performance von Mobilgeräten optimiert werden müssen. Dazu aber auch noch die Varianten zwischen Reflow-Layout und Fixed-Layout zu unterstützen, die zahlreichen Einbettungsvarianten von Audio- und Video-Daten zu realisieren und dabei immer auch noch sicher und performant zu berücksichtigen, dass durch die Einführung von Javascript prinzipiell jedes dieser Merkmale auch zur Laufzeit dynamisch angepaßt und verändert werden kann – das fällt offenbar selbst den Entwickler-Teams großer Software-Unternehmen nicht ganz leicht.
Wer die Zeit bis zur einem vollwertigen EPUB 3-Reader nutzen möchte, um sich schon einmal auf die Produktion vorzubereiten, für den hat die BISG folgende, sehenwerte Slideshare-Präsentation zu bieten: