Bei den vielen Konferenzen und Events der Sommermonate in Deutschland ist die Digital Book 2012 des IDPF hierzulande etwas untergegangen. Dabei wurden Anfang Juni in New York nicht nur zahlreiche Anwendungsfälle, Geschäftsmodelle und Visionen zum neuen eBook-Format EPUB3 vorgestellt, sondern das Standardisierungsgremium für EPUB in Person von CTO Markus Gylling gab auch die Roadmap für die Weiterentwicklung in der nächsten Zeit bekannt. Die wichtigesten Neuerungen:
Modulare Weiterentwicklungsstrategie
Ähnlich wie es das W3C in den letzten Jahren bei der Weiterentwicklung von HTML und den angrenzenden Webtechnologien praktiziert hat, will das IDPF den Standard-Kern von EPUB3 so weit wie möglich stabil halten. Angrenzende Technologien wie die Fixed Layouts sollen als neue Bereiche auf dieser Basis sukzessive dazu standardisiert werden, ohne den Basis-Standard grundlegend zu ändern. Es bleibt nur zu hoffen, dass es nicht wie beim W3C im Bereich HTML5 zu Spaltungstendenzen zwischen den Standard-Hütern und den Praktikern in der Entwicklung kommt.
Adaptive Layouts
Der letzte, fertiggestellte Teilstandard innerhalb von EPUB3 waren die Fixed Layouts, d.h. die Möglichkeit, CSS quasi als Seitenbeschreibungs-Sprache zu nutzen und so auf bestimmten Ausgabe-Displays pixelgenaue Positionierung von Bild- und Text-Elementen zu realisieren.
Nun kommen als weitere Spezifikation die Adaptive Layouts hinzu – hier soll der Effekt erreicht werden, ähnlich wie im modernen Web-Design Layouts zu schaffen, die sich regelbasiert an verschiedene Display-Größen und Proportionen anpassen können. Über ein System an Regeln für Textfluss-Steuerung, Umfluss um graphische Elemente und Seitenregionen, sowie einer logischen Verankerung von Textteilen miteinander soll erreicht werden, dass ein EPUB-Reader bis zu einem gewissen Grad auch komplexere, graphische Layouts „selbständig“ an sein Display anpassen kann.
Basierte die Fixed Layout-Spezifikation de facto auf der vorab von Apple in iBooks implementierten Lösung, zeigen die Konzepte für die Adaptive Layouts recht klar die Handschrift von Adobe – Funktionsumfang und Möglichkeiten dürften dann auch ziemlich genau denen entsprechen, die in CS6 mit den „liquid layouts“ realisiert sind.
Ich persönlich bin kein großer Freund der Fixed Layouts, einfach weil sie ab einer bestimmten Menge an Ausgabe-Geräten meiner Ansicht nach nicht mehr effizient produzierbar sind und den Content-Anbieter deswegen zu stark auf bestimmte Endgeräte einschränken (ein aufschlussreicher Erfahrungsbericht zu Fixed Layouts findet sich übrigens hier auf „Adventures of an Independent Author“). Gelingt eine gute Spezifikation für Adaptive Layouts, ist dies der konzeptionell sicher schwierigere, aber für die Entwicklung der Content-Plattformen auch nachhaltigere Ansatz.
Unterstützung für Wörterbücher, Glossare, Verzeichnisse
Ein weiterer Bereich, der bisher in EPUB komplett ausgespart wurde (sieht man von den typisierten Tabellen- und Abbildungsverzeichnissen in EPUB3 ab), sind Wörterbücher, Verzeichnisse und ähnliche Content-Strukturen. Eine schlichte textuelle Abbildung macht im eBook in der Regel keinen Sinn – für eine intelligente Einbindung müßten Verzeichnisse semantisch codierte Strukturen beinhalten, auf die ein Reader bei einer kontextsensitiven Suche zurückgreifen kann. Um solche Strukturen zu entwerfen und Anwendungsfälle sinnvoll zu unterstützen, hat eine Arbeitsgruppe mit den ersten Entwürfen für Teilspezifikationen in diesem Bereich begonnen.
Scripting
Mit der Einführung von Javascript in EPUB3 wurde ein großer Bereich neuer Möglichkeiten für interaktive Inhalte geschaffen – auf der anderen Seite aber auch eine große Baustelle, denn bis heute ist für Content-Ersteller, die Plattform-übergreifend arbeiten wollen, nicht klar, welche Reader genau welche Funktionen unterstützen. Cross-Plattform-Testen ist in der App-Welt bereits bekannt (und verhasst) – in der eBook-Welt dürfte die Notwendigkeit dazu die meisten Projekte komplett aus der Deckung bringen.
Das IDPF verspricht hier zwar keine vollständige Abhilfe (was sie wohl auch wenig realistisch wäre), aber zumindest zwei Bereiche mit wichtiger Support-Funktion in Aussicht: Für EPUB-Reader sollen eBook-spezifische Javascript-Schnittstellen standardisiert werden – wichtig, da eBooks zwar auf Webtechnologien beruhen, aber ein komplett anderes Darstellungverhalten im Reader erfordern. Javascript kennt Schnittstellen und Ereignisse für Kontexte wie Dokumente, Fenster, und Popups – ein Buch mit sinnvoller funktionaler Unterstützung könnte aber Objekte wie Kapitel, Seiten (oder zumindest darstellbare Bereiche) und ähnliches gebrauchen, um auf dieser Basis nutzerfreundliche Funktionen zu implementieren.
In der Planung scheint dazu ein Projekt für ein „EPUB Standard Widget Toolkit“ zu sein. Verbirgt sich dem Projektnamen das, was die Ähnlichkeit zum gleichnamigen Java-Projekt erhoffen läßt, nämlich ein offiziell standardisierter Satz an Bedienelementen, die ein EPUB-Reader für interaktive Bedienung und Inhalte unterstützen muss, wäre das ein riesiger Fortschritt für Anbieter von anspruchsvollem Content. Ähnlich wie innerhalb der proprietären Implementierung von Apple bei iBooks Author könnten auf Basis offener Standards auf komplexe Visualisierungen realisiert werden, ohne die Codebasis selber schreiben zu müssen. Aus meiner Sicht stellt dies das interessanteste der Vorhaben dar.
Im Detail bringt der Ausblick wenig grundlegend Neues – eher Feinschliff im Detail und die Ausarbeitung von Bereichen, die im ersten Wurf von EPUB3 aus Gründen der Komplexität außen vor gelassen wurden. Insgesamt stimmt das Gesamtbild aber dennoch positiv, denn ähnlich wie bei der Arbeit der WHATWG an HTML5 werden schlicht die Bereiche aufgegriffen, die sich im Markt ohnehin aus den Anforderungen entwickeln. Aus Anlass der Neuigkeiten gibt es nun hier auf digital publishing competence nun neu auch eine Readlist für EPUB3 mit relevanten Artikeln zum eBook-Format der Zukunft, die ab jetzt laufend mit weiteren Inhalten gefüllt wird.