dpc & smart digits on the road: World Book Fair, New Delhi

Im Februar hatte ich das Vergnügen, zusammen mit Harald Henzler von smart digits und in Zusammenarbeit mit der Akademie des deutschen Buchhandels ein ganz besonderes Projekt zu realisieren: Eine Workshop- und Seminar-Reise nach Indien, zunächst zur New Delhi World Book Fair in der Hauptstadt des Subkontinents und dann für eine Woche nach Kalkutta für einen „digital publishing course“ an der Seagull School of Publishing. Im Auftrag der Goethe-Institute in Indien und des National Book Trust of India waren wir eingeladen, auf einer der größten Buchmessen der Welt einen Workshop zum modernen ePublishing zu geben. Entsprechend gespannt waren wir natürlich, was uns auf dem Subkontinent erwarten würde. Das Protokoll einer Reise in Sachen Digital Publishing:

Delhi: Impressionen einer indischen Metropole

Delhi empfängt uns mit winterlichem Wetter (für indische Verhältnisse, d.h. es hat „nur“ etwa 20 Grad) und mit dem Eindruck einer quirligen Metrople, die jedoch für indische Verhältnisse recht geordnet wirkt: Die englische Kolonialverwaltung hat hier im Innenstadt-Bereich eine Planstadt aus dem 19.Jh. hinterlassen, die Delhi als Hauptstadt heute durchaus zugute kommt, z.B. ist der Verkehr hier nicht halb so schlimm wie in anderen indischen Städten. Bewegt man sich durch Delhi, bekommt man aber bereits in den ersten Stunden den vollen Kulturschock des dortigen Lebens serviert:

Die Vielfältigkeit und Buntheit des öffentlichen Lebens ist einerseits wahnsinnig faszinierend, andererseits steht man als Europäer permanent am Rand der kompletten Reizüberflutung. Denn Tradition und Moderne, Geschäftsleben und die alltägliche Religiösität der verschiedensten Glaubensrichtung einerseits, andererseits die vielen Kulturen, Sprachen und Einflüsse aus allen indischen Regionen existieren hier parallel und auf engstem Raum nebeneinander. Glitzernde Prachtbauten westlicher Prägung und Eindrücke bitterster Armut auf einem Fleck sind Gegensätze, an die man sich erst einmal eine Zeitlang gewöhnen muss.

Delhi

Die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ in Reinkultur: Hypermoderne Bürobauten und spielende Affen auf Müllbergen sind oft nur einen Steinwurf voneinander entfernt.

Daneben sind wir bereits am ersten Tag zum Kennenlernen und Vorbereiten des Workshop im Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan zu Gast (da Goethe in Indien relativ unbekannt ist, sind die Institute dort nach dem berühmten Indologen Max Mueller benannt, den hier jeder kennt). In einem schönen und lebendigen Gebäude in der Innenstadt von Delhi finden Sprachkurse und Kulturveranstaltungen statt, die regen Anklang finden. Gleichzeitig beherbergt das Gelände eine große deutsche Bibliothek, und von hier aus wird die Kulturarbeit der deutschen Regierung im ganzen Land koordiniert.

Unsere Partnerin Ute Reimer vom Goethe-Institut überrascht uns mit der Nachricht, dass sich vorab fast 100 Teilnehmer für unseren Workshop angemeldet haben – entsprechend hektisch wird die Vorab-Organisation am Vortag und entsprechend gespannt sind wir, welches Publikum uns auf der Messe erwartet. Und wir lernen schnell: Organisation funktioniert hier zwar anders als bei uns, und oft nach etwas undurchschaubaren Prinzipien. Aber am Ende klappt eigentlich immer alles. Auch wenn man nicht immer versteht, wie eigentlich.

Goethe-Institut Delhi

Goethe in Indien: Im „Max Mueller Bhavan“ wird die Kulturarbeit und Sprachförderung für Delhi organisiert.

Publishing in India

Der indische Buchmarkt gehört naturgemäß zu einem der größten der Welt: Kein Wunder, denn der Subkontinent hat mit 1,2 Milliarden Einwohnern eine immense Zahl potenzieller Kunden und mit den allgegenwärtigen Smartphones wären auch genug Lesegeräte für Digitalmedien vorhanden. Nach den Zahlen von Publishing Perspectives arbeiten in Indien etwa 19.000 Verlage, die pro Jahr um die 90.000 Neuerscheinungen produzieren, d.h. das Land beherbergt eine Verlagslandschaft in der Größenordnung von Deutschland. Und wie hierzulande hat das Buch und das Lesen eine lange Tradition und wird kulturell hoch geschätzt.

Dennoch hat der Publishing-Markt des Landes mit großen Strukturproblemen zu kämpfen: Eine wie in Deutschland durchorganisierte Infrastruktur aus Distributoren, Sortimentern und Marketing-Plattformen existiert so gut wie nicht, nur etwa 7% der Buchverkäufe erfolgen über Vertriebsstrukturen in unserem Verständnis – was sofort deutlich wird, wenn man sich einige Tage in Indien bewegt und an jeder Ecke sieht, wie sehr dort die Wirtschaft von Einzelhandel auf der Straße geprägt wird. Dazu kommen Herausforderungen wie eine nach wie vor hohe Analphabeten-Quote. Das Land besitzt daneben große ländliche Regionen, die vom Buchhandel quasi unerschlossen sind, einfach weil sich die Distribution ökonomisch gar nicht lohnen würde. In der Folge kaufen viele Buchhändler einfach auf der Messe (die anders als in Deutschland gewohnt auch eine Verkaufsmesse ist) oder direkt beim Verlag. Und der typische indische Buchladen sieht im Durchschnitt etwa so aus:

a Bookshop in Kalkutta

Indien, das Land des Einzelhandels. Der Buchhandel findet, wie fast das gesamte öffentliche Leben, auf der Straße und den Märkten statt.

Trotzdem bemühen sich sowohl die indischen Verlage als auch internationale Unternehmen wie Amazon (die hier seit etwa einem Jahr aktiv am Markt sind), das eBook und andere Digitalmedien als Geschäftsfeld zu entwickeln, auch wenn die Marktentwicklung noch deutlich zögerlicher ist als in Deutschland. Schätzungen gehen für Indien momentan von einem Marktanteil eBook von 0,5 – 1% des gesamten Buchmarktes aus. Aber neben den bekannten „big three“ im Content-Bereich existieren mit Flipkart und Infibeam auch rein indische eBook-Plattformen. Und durch die immens höhere Gesamtbevölkerung haben sie beeindruckende Nutzerzahlen: Flipkart z.B. hat 4 Millionen eBooks im Sortiment und vertreibt diese an zur Zeit eine halbe Millionen registrierte Nutzer – wenig im Vergleich zum gesamten Land, aber absolut stets beeindruckende Zahlen. Auch erlebt das Land gerade ähnlich wie die USA und Europa einen Tablet-Boom. Und obwohl die Verlage wie bei uns durchaus ihre Bedenken bei der Digitalisierung haben – vor allem im Bereich Piraterie, die hier schon für die Print-Publikationen ein großes Problem ist – versprechen sie sich doch auch große Potenziale, vor allem im Bildungsbereich oder bei der Erschließung ländlicher Regionen als eBook-Markt.

ePublishing am anderen Ende der Welt: Workshop-Eindrücke

Nachdem alle Besucher eingetroffen sind und die Honoratioren-Grußworte abgeliefert wurden (unerläßlich im hiesigen Besuchsprogramm), präsentieren wir unsere vier Hauptthemen:

  • Was macht der Markt für Digitalmedien? In den USA, bei uns in Deutschland, und auch in Indien? Spannend ist dabei, dass Indien sich ähnlich bewegt, wie Deutschland vor 1-2 Jahren.
  • Neue Formate, neue Geschäftsmodelle, neue Wege zum Kunden: Die von uns gezeigten Beispiele für erfolgreiche eBooks und Apps finden großes Interesse. „Das große Erfolgsmodell“ scheint im indischen Markt noch niemandem gelungen zu sein.
  • Jeder ist ein Verleger – neue Konkurrenten im Markt: Die Tendenz des „everybody rules“ scheint im indischen Markt noch nicht so angekommen zu sein. Natürlich gibt es Selfpublishing, aber es spielt noch nicht in solchem Maße eine interessante Rolle wie bei uns.
  • „Technology rules“ – die mobilen Ökosysteme und wie man mit ihnen umgehen kann: Eine wohl ganz zentrale Frage in einem Markt, der im wesentlichen von den verfügbaren Endgeräten bestimmt ist. Klar hat auch in Indien niemand Lust, sich seine Marktbedingungen von Amazon und Co. bestimmen zu lassen. Aber ein gutes Patentrezept dafür hat hier auch niemand.

Trotz der großen Gruppe im Saal versuchen wir, den Tag so interaktiv wie möglich zu gestalten: Nach jedem Vortrag gibt es eine ausgedehnte Q&A-Session mit mehreren Saalmikros, und was wir zu hören bekommen, ist wirklich spannend. Von den totalen Digital-Skeptikern bis zu den reinen Web-Plattform-Vertretern ist im Saal wirklich alles vertreten. Was bleibt von den vielen interessanten Begegnungen in Erinnerung?

  • Selfpublishing scheint auch hier das nächste große Ding zu sein: Von Einzelpersonen wie einem Geschwisterpaar, das hier war, weil sie die Vermarktung eines juristischen Spezialtitels durchexerzieren wollen, bis zu reinen Selfpublishing-Unternehmen ist alles geboten.
  • Piracy und Preissensibilität sind extrem große Themen: Raubkopien sind schon im Print ein echtes Problem, die Gesetzgebung für intellectual properties ist mehr als lax, und für die Rechtsprechung ist all dies eher ein minderschweres Problem. Gut für den einfachen Kunden, schlecht für den Urheber. Dazu kann sich die Mehrheit teure Bücher schlicht nicht leisten, d.h. bei der Preisfindung wird buchstäblich um jede Rupie gefeilscht.
  • Modelle wie MOOC-Programme – für ländliche Regionen, für Mädchenbildung (ein riesiges Thema dort), für religiöse oder sprachliche Minderheiten – werden als großes Potenzial gesehen. Nicht nur wirtschaftlich, sondern weil sie in ganz neuem Maße gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen für riesige Bevölkerungsgruppen, die davon sonst schlicht ausgeschlossen wären.
  • Bei den Diskutierenden sind alle Facetten vertreten: Von den Großverlagen, die schon mitten im Digitalgeschäft sind, bis zu den mittleren und kleinen Verlagen, die sich aus guten Gründen fragen, wie sie von ihren kaum vorhandenen Margen diese Technologie-Hürde bewältigen sollen, ist alles geboten.

Insgesamt bleibt für uns der Eindruck zurück, dass – so unterschiedlich unsere Länder und Märkte sind – die Themen, mit denen sich die Verlage auseinander setzen müssen, so verschieden nicht sind. Natürlich ist die Entwicklungsgeschwindigkeit eine andere, und natürlich ist der Leidensdruck an manchen Stellen ein anderer, aber die Digitalisierung zwingt auch hier die Publisher in sehr ähnliche Diskussionen. Und an dieser Stelle hat man auch oft das Gefühl, sich mit den Verlegern hier trotz ganz anderer Rahmenbedingungen wieder zu treffen: Niemand will alles den großen Technologie-Konzernen überlassen, jeder muss die Tragfähigkeit seines Geschäftsmodells hinterfragen. Und am Ende bleibt auch immer die Frage des verlegerischen Ethos offen, und wer dafür sorgen wird, dass die handwerkliche Seite einer Jahrhunderte alten Tradition weitergetragen wird. Aber das Feedback nach der Veranstaltung sagt uns klar: hier konnten wir zuindest einige gute Anstöße zum weiteren Nachdenken geben.

At the New Delhi World Book fair.

Publishers workshop: disruptive change, new competitors, the big ecosystems, everyone is a publisher.

Die Messe: Buchkultur in einem uns völlig fremden Markt

Nach dem Workshop haben wir noch genug Gelegenheit, uns selber auf der Buchmesse umzusehen. Die Messe ist aufgrund der vielen Verlage wirklich riesengroß, noch deutlich größer als die Frankfurter Buchmesse. Gewöhnungsbedürftig ist die Tatsache, dass es auch eine Verkaufsmesse ist, sowohl für den Einzelverkauf, als dass hier auch ganze Paletten herausgefahren werden. In der Halle neben unser Veranstaltung besuchen wir das German Book Office, das hier quasi als Aussenstelle der Frankfurter Messe die deutschen Verlage präsentiert. Daneben ist Polen als Gastland der Messe groß vertreten.

Natürlich haben auch die großen Verlage aus dem angelsächsischen Raum jeweils ihre Dependancen in Indien, etwa Penguin Books oder Harper Collins – jedoch werden hier nicht einfach nur die englischen Titel vertrieben, sondern die Verlage bauen auf ein großes Portfolio von profilierten indischen Autoren und Titeln auf. Dem Sortiment und den Preisen merkt man deutlich an, wie preissensibel der indische Markt ist: obwohl die Bücher kaum anders realisiert sind als in Europa, kosten sie im Durchschnitt vielleicht die Hälfte von dem, was vergleichbare Titel bei uns in Deutschland kosten würden.

Die Mischung der Verlage, die wir hier zu sehen bekommen, ist ebenso bunt wie das restliche Leben um uns herum: Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell komplett auf billigsten Taschenbuchausgaben in Klopapier-Qualität aufsetzen, stehen direkt neben wunderbaren Verlagen wie Seagull Books oder Tara Books, die nicht nur tolle Inhalte vertreiben, sondern sich auch in Gestaltung und Design auf allerhöchstem Niveau bewegen.

New Delhi World Book Fair

Vielfalt und Widersprüche auch im Messe-Eindruck: Kreischend bunte, asiatische Kinder-Apps und Buchkunst auf höchstem Niveau wie bei Tara Books stehen direkt nebeneinander.

Wir verlassen die Messe am Ende mit der Gewissheit, einen tiefen Einblick in die Buchkultur und Verlagslandschaft eines ebenso exotischen wie faszinierenden Landes bekommen zu haben. Und machen uns auf den Weg zu unserer zweiten Station in Indien: der Seagull School of Publishing in Kalkutta.

 

 

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Danke für den ausführlichen und anschaulichen Bericht aus Delhi. Ich bin für einige Monate für ein Praktikum in Mumbai und erlebe ähnliches. Bin gespannt auch auf den zweiten Teil.

  2. Pingback: AKEP Jahrestagung 2014 | Andreas Gyo

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