EPUB 3.1 ist in der Pipeline: Was heißt das in der Praxis?

200px-EPUB_logo.svgWie das Standardisierungs-Gremium IDPF diese Woche mitgeteilt hat, steht aktuell der erste Entwurf für die EPUB-Version 3.1 für Review und Diskussion zur Verfügung. Diese neue EPUB-Version soll mittelfristig den Enhanced-eBook-Standard EPUB3 ablösen. Was bringt EPUB 3.1 an Neuerungen und wie ist diese Entwicklung für Content-Anbieter und Dienstleister im eBook-Bereich zu bewerten? Ein Überblick über den Weg zur nächsten EPUB-Version:

Was bisher geschah – und wo es hingehen soll

Seit dem Jahr 2011 gibt es das Thema EPUB3 nun schon im eBook-Bereich, aber immer noch tut sich die Branche schwer damit: Zwar ist die Situation bei Kompatibilität von Erstellungstools und Reader-Anwendungen mit EPUB3 etwas besser geworden als früher, aber von einer wirklich breiten Unterstützung in Markt und Technik kann auch nach fast 5 Jahren EPUB3 keine Rede sein.

Auch hat sich in der Zwischenzeit in der Weiterentwicklung des EPUB-Standard wenig getan: Zwar existieren Entwürfe zu EPUB-Erweiterungen für die Abbildung von komplexen, adaptiven Layouts, Stichwort-Verzeichnissen, Wörterbüchern und Annotationen, aber auch hier ist keinerlei Implementierung durch Hersteller abzusehen. Die 2014 veröffentlichte EPUB-Version 3.0.1 ist als reiner „Bugfix-Release“ zum Ausbügeln von Fehlern und Inkonsistenzen in EPUB3 anzusehen.

Mit EPUB 3.1 unternimmt das IDPF nun den Versuch einer Revision des EPUB-Standards. Vorab schon das wichtigste an EPUB 3.1 in einem Satz zusammengefasst: Es kommen mit der neuen Version keine neuen Features und Funktionen hinzu. In EPUB 3.1 werden vor allem Teile der Spezifikation gestrichen oder ersetzt, die mittlerweile durch neue Standards im HTML5-Umfeld obsolet geworden sind, die sich als unpraktikabel oder schlicht als Design-Fehler erwiesen haben.

Die Änderungen im Detail

Der Entwurf von EPUB 3.1 ist – wie quasi alle Spezifikationen des IDPF – ein hochgradig technisches Dokument und damit schwer zu lesen und im Detail zu verstehen. Am besten zum Einstieg eignet sich deswegen die Änderungsübersicht von EPUB 3.0.1 zu EPUB 3.1, die parallel zum Entwurf veröffentlicht wurde.

Aus dieser Änderungsübersicht werden die zentralen Punkte und ihre inhaltliche Bedeutung aber dann relativ schnell deutlich (wer kein Interesse an den technischen Details hat, kann diesen Abschnitt auch gefahrlos überspringen und direkt die Management Summary am Ende des Artikels lesen):

Globale Änderungen für EPUB3

  • Eingebundene Fonts in den Dateitypen WOFF, OTF und TTF werden neu als „Core Media Types“ in EPUB3 zugelassen: Im Grunde als rein formale Änderung anzusehen, schreibt nur das fest, was ohnehin in der Produktion praktiziert wird.
  • Fallback-Mechanismus für externe Ressourcen wird unnötig: Dass eine EPUB-Datei auf Ressourcen verweist, die nicht Teil der EPUB-Datei sind, habe ich so noch nie in der Praxis gesehen. Unspannende Änderung ohne praktische Auswirkung.
  • Die „EPUB Canonical Fragment Identifiers“, ein Adressierungsmechanismus zum Einbetten von Kommentaren und Annotationen in einer EPUB-Datei, wird ersatzlos gestrichen: Auch hier wird eine weitgehend unbekannte und in der Praxis bedeutungslose Funktion aus EPUB3 gestrichen. Ich habe schon beim ersten Lesen der Spec nicht verstanden, warum man trotz bereits existierender Mechanismen zur Adressierung in HTML (URL/URI) und XML (XPath/XLink/XPointer) für EPUB unbedingt noch einmal einen proprietären Standard erfinden musste.

Änderungen im Package-Dokument / in der OPF-Datei

  • Änderungen in den EPUB-Metadaten: Die in EPUB3 deutlich ausgebauten Metadaten werden wieder eingedampft; als Angaben werden nun erwartet Identifier/ISBN, Titel, Autor(en), Sprachangabe, Verlag und eine Typisierung des Titels. Diese Änderung ist sehr zu begrüßen, denn mit dem vielen anderen möglichen Metadaten konnten weder Ersteller von Daten umgehen, noch gab es bisher Reader, die diese auch anzeigen konnten.
  • Wegfall der NCX-Datei: Als wesentliche Datenstruktur für das Inhaltsverzeichnis wurde in EPUB3 neu das Navigation Document eingeführt – die in ePub 2.0 dazu notwendige NCX-Datei soll nun komplett entfallen. Dieser Punkt ist wohl die wichtigste und kritischste Änderung in EPUB 3.1: In fast allen mir bekannten Produktionsprozessen wird in EPUB3-Dateien noch eine NCX-Datei integriert, um Abwärtskompatibilität zu ePub 2.0-Readern zu erhalten (bisher zeigen fast alle ePub 2.0-Reader zumindest den statischen Content in einer EPUB3-Datei klaglos an, wenn noch ein NCX-File integriert ist). Wenn dies nicht mehr möglich ist, wäre das fatal, denn der ohnehin schwierige Migrationspfad nach EPUB3 für Verlage würde so noch einmal deutlich unkomfortabler. An dieser Stelle würde ich sehr hoffen, dass sich das IDPF noch einmal eines besseren besinnt…
  • Entfernung des <guide>-Elementes: Die aus ePub 2.0 bekannte Dateisektion zur Markierung wichtiger Stellen im eBook wie Cover oder Inhaltsverzeichnis wurde komplett durch die <landmarks> in EPUB3 ersetzt und kann damit entfallen.
  • Entfernung des <bindings>-Elementes: Mit dieser Funktion sollten Fallback-Mechanismen für Dateitypen definiert werden, die in der EPUB-Datei enthalten sind, aber nicht vom EPUB-Reader angezeigt werden können. Diese Idee hat sich insgesamt als unpraktikabel erwiesen und kann insofern ersatzlos entfallen.

Änderungen innerhalb der Content-Dokumente

  • HTML5-Content wird in HTML-Syntax zugelassen: Im Gegensatz zu früher, wo für alle Inhalte strikt die XML-konforme Notation vorgeschrieben war, sollen Reader nun auch die weniger strenge HTML-Notation unterstützen. Für Programmierer von Lesesoftware und Prüftools ist diese Änderung durchaus brisant, weil nicht trivial zu implementieren. Für Content-Ersteller und Anbieter heißt das vor allem, dass das im Web gängige HTML direkter auch in EPUB-Daten integrierbar ist.
  • Streichung der meisten EPUB-spezifischen CSS-Eigenschaften: Die meisten in EPUB3 definierten CSS-Eigenschaften mit dem Präfix „-epub“ (die also nur von EPUB-Readern interpretiert werden) entfallen. Für Europa ohne Bedeutung, da hier nur Eigenschaften betroffen sind, die für die Formatierung asiatischer Sprachen benutzt werden.
  • Detailanpassungen im Bereich Scripting: Die Vorgaben dazu, welche Art von Javascript-Einbettung in welchen Kontexten von Readern unterstützt werden, werden in Details verändert. Hat in der Praxis fast nur für Entwickler von Reader-Anwendungen eine Bedeutung.
  • Detailanpassungen im Bereich Accessibility: Die Vorgaben für Barrierefreiheit werden auf die jüngste Version der dazugehörigen W3C-Guidelines hin angepasst. Rein formale Änderung ohne praktische Konsquenzen.
  • Entfernung des <epub:switch>-Elementes: Mit diesem Element sollte ein Fallback für die Darstellung von MathML- und SVG-Inhalten auf alten Readern geschaffen werden. Zu Recht gestrichen, da in der HTML5-Formulierung bereits ein generischer Fallback-Mechanismus definiert wurde.
  • Entfernung des <epub:trigger>-Elementes: Mit diesem Element sollte es möglich werden, alternative Bedienelemente für Audio- und Video-Player zu definieren. Habe ich noch nie außerhalb von Demo- oder Testdateien gesehen und auch nie verstanden, wo hier ein sinnvoller Use Case dafür sein soll.

Wer Lust hat, etwas in die durchaus kontroverse inhaltliche Diskussion über EPUB 3.1 im IDPF einzusteigen, dem sei der Kommentar von Daniel Glazman zum Entwurf zur Lektüre empfohlen – hier liest ein Urgestein der Webtechnologie-Entwicklung den IDPF-Entwicklern doch recht gründlich die Leviten.

Zusammenfassung

Wie bereits zu Anfang skizziert, kommen mit EPUB 3.1 keine neuen Features hinzu. Die neue Version hat vor allem Aufräum-Charakter: Eine ganze Reihe an Funktionen wurde gestrichen, die schwer verständlich und wenig praktikabel waren. An vielen Stellen wurde EPUB an dem aktuellen Stand der Webstandards im HTML5-Umfeld angeglichen.

Grundsätzlich ist diese Entwicklung sinnvoll und richtig. Der einzige wirklich kritische Punkt ist die Streichung der NCX-Datei, weil hier ohne Not ein leicht praktizierbarer Weg zu abwärtskompatiblen EPUB3-Dateien abgeschnitten wird. Entsprechend kontrovers wird das Thema aktuell auch noch diskutiert.

Was bedeutet EPUB 3.1 für die Zukunft?

Bleibt es im großen und ganzen beim Umfang von EPUB 3.1, so ändert sich für Verlage, Content-Anbieter und Dienstleister zunächst so gut wie nichts – von den Auswirkungen den NCX-Streichung einmal abgesehen. Für Entwickler von Software-Tools und Lese-Anwendungen für EPUB wird der Standard etwas entschlackt und insgesamt einfacher implementierbar. 

Das Drama an der Entwicklung des Standards ist aber, dass die Hauptgründe für die mangelnde Verbreitung von EPUB3 vom IDPF hier überhaupt nicht adressiert werden: die fehlende Unterstützung zentralen Funktionen durch die großen Anbieter und Ökosysteme, sowie die inkonsistente Interpretation und Darstellung von EPUB3-Inhalten über verschiedene Lesesysteme hinweg. Wenn das IDPF in Zukunft etwas sinnvolles für die Marktentwicklung tun will, sollte hier angesetzt werden, statt immer neue Spezifikationen zu produzieren, die in der Praxis kaum Bedeutung haben. 

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