Schon seit langem haben eBook-Produzenten die Qual der Wahl der EPUB-Versionen für ihre Veröffentlichungen: Bereits das Ende 2011 spezifizierte EPUB 3 mit seinen umfangreichen Features hat kaum ein Content-Anbieter in Gänze durchdrungen, zumal es bis heute keine ansatzweise vollständige Implementierung des Formates bei eBook-Marktplätzen und Lesesystemen gibt. Kurz vor der Fusion mit dem W3C hat uns das scheidende IDPF Anfang 2017 noch EPUB 3.1 hinterlassen: Eine ebenso notwendige wie sinnvolle Revision, die aber bis heute aufgrund fehlender Tool-Unterstützung quasi unbenutzbar ist. Nun ist seit einigen Monaten EPUB 3.2 in der Pipeline – ist damit ein Weg aus dem Versionchaos in Sicht? Ein Überblick:
Die Klagen von Content-Produzenten für eBooks sind zu Recht weit verbreitet: Seit nunmehr fast 10 Jahren ist das gängigste eBook-Format das mittlerweile einigermaßen angejahrte EPUB 2. Zwar ist das Format einfach aufgebaut, leicht zu verstehen und gut handhabbar in der Produktion – aber aufgrund des veralteten Funktionsumfangs auf einfache, textbasierte Inhalte aus dem Publikumsverlags-Bereich limitiert.
Daneben gibt es inzwischen nicht weniger als vier verschiedene EPUB 3-„Dialekte“ mit z.T. sehr unterschiedlichen Features, bei denen selbst Fachleute die Unterschiede kaum noch ganz präzise benennen können. Ganz aktuell hat Dave Cramer vom W3C die Motivation für die jüngsten Entwicklungen in einem längeren Blogbeitrag zusammengefasst. Als Ergänzung für alle EPUB-Anbieter aus dem deutschen Sprachraum folgt hier ein kleiner Wegweiser durch den Versions-Dschungel:
EPUB 3
EPUB 3 wurde Ende 2011 als der „große Wurf“ für das Medium eBook vom IDPF verabschiedet. Die umfangreichen Möglichkeiten beinhalten unter anderem:
- Semantischer Content mit HTML5 und verbesserte Gestaltungsmöglichkeiten mit CSS3
- Multimedia-Integration und Vorlese-Funktionen
- Interaktive und dynamische Inhalte durch Javascript-Einbettung
- Vollständige Internationalisierung für alle Sprachen der Welt
- Fixed Layouts für seitenorientierte Publikationen
Dieses Versprechen der schönen neuen eBook-Welt hat EPUB 3 bis heute nicht einlösen können – und wird es vielleicht auch niemals: Denn die Unterstützung von Toolanbietern und eBook-Marktplätzen war mehr als zurückhaltend, außer im Apple-Ökosystem gibt es bis heute keine auch nur ansatzweise komplette, produktiv nutzbare EPUB 3-Implementierung (und auch hier hält sich die Verlässlichkeit sehr in Grenzen). Will man EPUB 3 nutzen, ist man als Content-Produzent bis heute gezwungen, alle Fallstricke durch fehlende Feature-Unterstützung genau zu kennen.
EPUB 3.0.1
EPUB 3.0.1 wurde 2014 vom IDPF als neue Spezifikation zur Korrektur von Fehlern und Unklarheiten in der usprünglichen EPUB3-Spezifikation veröffentlicht. EPUB 3.0.1 enthält keine neuen Features und Funktionen, sondern dient lediglich der Klärung von Problemen bei der Produktion und Implementierung von EPUB. Faktisch alle EPUB 3-Exporte von Produktionstools und auch der epubcheck für EPUB 3 sind mittlerweile auf dieses Format umgestellt – d.h. jeder, der EPUB 3 erzeugt, nutzt „unter der Haube“ eigentlich EPUB 3.0.1.
EPUB 3.1
Nach zweijähriger Arbeit hinterließ die scheidende IDPF-Spitze der eBook-Welt vor der Fusion mit dem W3C, quasi als letzte Amtshandlung, die Spezifikation für EPUB 3.1. Die Design-Gedanken für diese Version waren grundsätzlich nicht schlecht:
- Selten oder gar nicht implementierte, von kaum jemandem verstandene bzw. inzwischen obsolete EPUB-Features wie die EPUB canonical fragment identifiers oder die epub:switch/epub:trigger-Elemente wurden entfernt.
- Die Referenzierung von Web-Standards wie HTML und CSS wurde auf die jüngsten Versionen der jeweiligen W3C-Spezifikationen umgestellt.
- Neu eingeführt wurden Features zur Verbesserung der Barrierefreiheit wie die WAI-ARIA-Attribute.
Insgesamt bringt diese Version also eine behutsame, aber durchaus sinnvolle Revision von EPUB 3. Der Schönheitsfehler: Die Restriktionen im Format brechen die Kompatibilität zwischen EPUB 3 und EPUB 3.1, deswegen ist die Version bisher von keinem Tool-Anbieter implementiert worden. Zudem gibt es aufgrund von akutem Ressourcen-Mangel noch nicht einmal einen epubcheck für EPUB 3.1 – insofern ist das Format aktuell de facto unbenutzbar.
EPUB 3.2
Mit EPUB 3.2 nimmt die EPUB Community Working Group im W3C nun einen neuen Anlauf: Die Revisionen von EPUB 3.1 sollen weitgehend erhalten bleiben, ebenso das unvermeidliche Aufräumen in den Spezifikationen. Anspruch von EPUB 3.2 ist aber die vollständige Kompatibilität zu EPUB 3.0.1, d.h. dieselben Werkzeuge für Produktion und Validierung sollen weiterhin verwendet werden können. Ein bißchen wirkt dieser Anlauf wie ein Versuch des W3C, den Gordischen Knoten der eBook-Formate zu durchschlagen und das ewige Henne-Ei-Problem zwischen Content-Anbieter und Tools/Lesesystemen endlich zu lösen. Dabei kann man dem W3C nur viel Erfolg wünschen – die eBook-Welt könnte es brauchen.
Welches Format sollte ich als Verlag aktuell für Produktionen verwenden?
Für Content-Anbieter fällt die Wahl dabei nicht leicht:
- EPUB 2 ist stabil und verlässlich, aber extrem limitiert
- EPUB 3 ist von Systemanbietern nur in Teilen implementiert und bietet jede Menge Features, die kaum eine Publikation benötigt
- EPUB 3.1 ist durch den fehlenden epubcheck faktisch unbenutzbar
- EPUB 3.2 ist noch in Arbeit
Für neue Publikationen im eBook-Bereich würde ich in dieser Situation mittlerweile immer zur Produktion mit EPUB 3 raten – allerdings in abwärtskompatibler Form zu EPUB 2, d.h.:
- Unter Integration der unter EPUB 3 eigentlich obsoleten NCX-Datei
- Unter Verzicht auf „unsichere“ Features wie Javascript, SVG, MathML oder Multimedia-Integration (oder, wenn das eBook dies dringend benötigt – zumindest mit Integration gut getesteten Fallback-Lösungen für ältere Lesesysteme)
Die Gründe:
- Sowohl bei Produktionstools wie in den EPUB-Readern werden nur die Versionen für EPUB 3 überhaupt noch weiterentwickelt. Tools für EPUB 2 erhalten mittlerweile nicht einmal mehr Bugfixes.
- Für ambitioniertere eBook-Layout bieten nur die EPUB 3-fähigen Reader die notwendige CSS-Unterstützung.
- Mit EPUB 3 ist relativ einfach der Einstieg in die Produktion barrierefreier eBooks möglich, wenn der Markt dies notwendig macht.
Sie wollen mehr wissen?
In der Serie EPUB-Praxis sind bisher folgende Artikel erschienen:
- Default Stylesheets, der unsichtbare Gegner beim EPUB-Layout
- Die EPUB-Metadaten
- Fonts einbinden und verwenden
- Seitenumbrüche steuern und Elemente zusammenhalten
- Von XML nach EPUB: eBooks aus Content Management-Systemen erzeugen
Daneben weise ich Sie gerne auch auf meine Seminare zum Thema eBooks hin, in denen neben den Herausforderungen der verschiedenen EPUB-Versionen auch alle anderen relevanten Faktoren für die Produktion moderner, nutzergerechter eBooks vermittelt werden: der Crashkurs E-Books und E-Book-Produktion optimieren im Programm der Akademie der Deutschen Medien, sowie die Seminare E-Books konzipieren und produzieren, E-Book-Produktion für Fortgeschrittene und Gestaltung und Typographie für EPUB-eBooks mit CSS im Rahmen der XML-Schule.