EPUB und Windows 10: Entdeckt Microsoft seine Liebe zum eBook (wieder)?

Foto 22.01.17, 18 15 01Für die nächste Version von Windows 10 sind spannende News für das digitale Lesen zu erwarten: Microsoft plant in diesem Update sowohl die Integration eines eigenen eBook-Shops, als auch die native Unterstützung für das EPUB-Format im neu entwickelten Edge-Browser, wie in den letzten Wochen in den einschlägigen Branchen-Blogs zu lesen war. Nach dem Schlingerkurs der letzten Jahre in Bezug auf eBooks verwundern diese Nachrichten zunächst: Wird Content nun doch noch zu einem zentralen Bestandteil im Ökosystems von Microsoft? Oder sind die Aktivitäten rund um EPUB eher als „Me too“-Strategie eines zu spät gekommenen Mitbewerbers im Markt zu bewerten?

Microsoft Edge als EPUB-Browser

Bereits im November meldete VentureBeat, dass der mit Windows 10 neu ins Betriebssystem integrierte Web-Browser Edge eine native Unterstützung für das EPUB-Format erhalten wird, ähnlich zum bereit realisierten nativen PDF-Rendering. Ohne zusätzliche Plugins können damit nicht DRM-geschützte Dateien direkt im Browser geladen und angezeigt werden. Ähnlich wie in vielen anderen EPUB-Leseanwendungen stehen Funktionen wie Bookmarks, Anpassung von Schriftgrößen/Schriftarten und Themes zur Verfügung. Technisch gesehen macht Microsoft damit das EPUB-Format zu einem „first class citizen“ in seinem Betriebssystem und reiht es damit ein in die Riege der offenen Standard-Formate wie HTML oder PDF – zunächst einmal eine erfreuliche Entwicklung.

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Voransicht der EPUB-Anzeige in Edge: Der Content wird im Desktop-Modus zweispaltig angezeigt, deutlich sind die Funktionen zur Anpassung der Textanzeige und die Themes zu erkennen. (Quelle: VentureBeat; Copyright: Microsoft)

Auch wenn die Unterstützung von EPUB als „lingua franca“ der eBook-Welt durch den Software-Konzern ein schönes Signal ist, gesunde Skepsis ist hier dennoch angebracht: Zunächst einmal wird man erst einmal in der Praxis testen müssen, wie standardkonform die EPUB-Implementierung im Detail wirklich ist – die Geschichte von Microsoft bei der „Unterstützung“ von Standards wie HTML ist ja eher unrühmlich. Andererseits ist der Edge-Browser von Grund auf neu implementiert worden und gilt unter Web-Entwicklern als ausgesprochen standardkonform und performant. Auch in meinen eigenen Tests in aktuellen Web-Projekten habe ich bisher den Eindruck eines sehr soliden Browsers auf Basis aktueller Web-Standards gewonnen.

Dennoch wird EPUB in Edge einigen Limitierungen unterliegen: Schon lange gibt es mit Plugins wie EPUBReader für Firefox und Readium für Chrome die Möglichkeit, EPUB-Dateien auch direkt im bevorzugten Browser zu lesen. Die Nutzung dieser Tools hält sich jedoch bisher arg in Grenzen – zum einen, weil dieser Weg nur für Dateien funktioniert, die nicht durch DRM-Systeme geschützt sind. Zum anderen fehlt den Browser-Plugins natürlich die direkte Schnittstelle zu den eBook-Stores der großen Anbieter in Deutschland. Der wesentliche Teil der Leser wird hier aus Bequemlichkeit oder fehlendem Wissen heraus im Zweifelsfall die Wege nutzen, die die Shops nahelegen. Edge wird es an dieser Stelle wahrscheinlich nicht sehr viel leichter haben, die Gunst der Nutzer zu gewinnen.

Update 13.02.2017: Wie The Digital Reader heute berichtet, wird die EPUB-Unterstützung in Edge auch noch durch eine Vorlese-Funktion für die Buch-Inhalte ergänzt – auch für Titel, die nicht schon von Haus aus mit Read-Aloud-Funktionalität ausgestattet sind.

Ein eigener EPUB-Store unter Windows 10

Die EPUB-Unterstützung in Edge macht aber erst so richtig Sinn zusammen mit einer weiteren Neuerung: Aktuell berichten Fachblogs wie MSPoweruser, The Digital Reader und lesen.net über die Einführung einer eBook-Sektion im Microsoft Online-Store. Der eBook-Store soll ebenfalls mit dem Frühjahrs-Update von Windows 10 ausgerollt werden, Nutzer erhalten damit wie bei Google, Amazon und Apple die Möglichkeit, neben Mobile-Apps, Spiele, Musik, Videos auch eBooks zu erwerben und auf ihren Geräten zu nutzen. Microsoft komplettiert damit also sein Ökosystem-Angebot im Bereich Content, nachdem dieser Bereich lange Zeit in der strategischen Entwicklung eher geringe Bedeutung hatte.

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Der eBook-Store von Microsoft präsentiert sich in der Windows-10-typischen Kachel-Optik (Quelle: MSPoweruser; Copyright: Microsoft)

Wie jedoch Johannes Haupt schon in seinem Artikel bei lesen.net richtig angemerkt hat, halte ich es ebenfalls für sehr fraglich, ob der Bereich Content-Verkauf für Microsoft eine wirklich relevante Rolle in der Ökosystem-Strategie darstellen wird – oder ob das Unternehmen ähnlich wie Google zwar Musik, eBooks und Video anbietet, ohne dies aber mit besonders viel Leidenschaft zu verfolgen. Zu unterschiedlich erscheint mir hier der ganze Ansatz der Unternehmens-DNA, die eben doch im Fall von Microsoft in der Vergangenheit komplett auf Software ausrichtet war.

Die strategische Wandlung von Microsoft

Dennoch sollte man den grundlegenden Unternehmenswandel nicht unterschätzen, den Microsoft mit Satya Nadella als  CEO durchmacht:

Zwar gehörte Microsoft mit seinem „Microsoft Reader“-Programm sogar zu den Pionieren des digitalen Lesens, allerdings wirkt die 2012 eingestellte Software und insbesondere die Hardware-Experimente der früher 00er-Jahre im Nachinein doch eher unfreiwillig komisch. Und ähnlich wie beim mißglückten Versuch, über die Beteiligung von Nokia im Geschäft mit Smartphones und Tablets mitzumischen, gehörte die Kooperation mit Barnes & Noble in deren eReading-Plattform „Nook“ eher zu den erratischen Teilen der Microsoft-Strategie und musste am Ende mit hohen Verlusten abgebrochen werden.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten beim Aufräumen der Ballmer’schen Hinterlassenschaften hat der charismatische Nadella Microsoft aber mittlerweile einigermaßen erfolgreich auf seine Vision einer Cloud-Company eingeschworen und dabei ganz erstaunliche Entwicklungen in Gang gesetzt: Microsoft Office als zentrale Produktlinie ist mit Office 365 komplett auf den Entwicklungspfad als Cloud-Service übergegangen und dabei von der Box-Software zum Abo-Modell geworden. Das Unternehmen hat begriffen, dass es für ein entwicklungsfähiges Zukunftsmodell auch auf die Open-Source-Szene angewiesen ist, und ist jüngst sogar Mitglied der Linux Foundation geworden – beides ebenso wie der Auftritt als Mobile-App-Anbieter unter iOS auf der Apple-Keynote zum iPad Pro Schritte, die für Microsoft unter Steve Ballmer noch vollkommen undenkbar gewesen wären.

Auch der Kauf von LinkedIn als Schritt in den Social-Network-Bereich und die Entwicklung der HoloLens als AR/VR-Plattform weisen in die Zukunft eines Unternehmens mit einem ganz anderen Fokus als nur dem auf Betriebssysteme und Office-Software. Ein Ansatz, der Content auch stärker mit in die Strategie integriert, würde für diese Entwicklung sehr viel Sinn ergeben: Soziale Netzwerke, visuelle Plattformen und eine vollwertige Mobile-Plattform sind bei der Konkurrenz von Amazon, Facebook, Google und Apple nur erfolgreich vorstellbar, wenn auch Inhalte von eigenen Unternehmens-Bereichen kompetent betreut werden. Insofern ist durchaus die Frage, ob eBooks nur deswegen ins eigene Ökosystem integriert werden „weil das halt dazugehört“ – oder ob dieser Zug nicht doch sehr gut in die übergeordnete Gesamtstrategie passt.

Die Bedeutung für den eBook-Markt in Deutschland

Betrachtet man speziell die Auswirkungen auf den deutschen bzw. deutschsprachigen eBook-Markt, ist die Bewertung trotz dieser spannenden Unternehmensentwicklung auch noch einmal zu differenzieren: Hierzulande erscheint mir auf der Seite der Content-Anbieter der Kuchen zwischen den großen eBook-Shops von Amazon, Tolino und den kleineren Anbietern weitgehend aufgeteilt. Man darf hier mit guten Gründen skeptisch sein, ob der Markt wirklich noch Platz für einen weiteren Content-Marktplatz bietet. Was diesen Aspekt der Marktentwicklung angeht, dürfte der jüngste genehmigte Einstieg von Kobo in die Tolino-Allianz mittlelfristig deutlich größere Bedeutung haben. Vor allem, nachdem sich das eBook-Geschäft in der Vergangenheit als wesentlich von den Endgeräten getrieben erwiesen hat, dürften die Voraussetzungen von Microsoft hier eher schlecht aussehen:

Zwar ist das Unternehmen nach wie vor auf Desktop und Notebook exzellent verankert (und diese Plattformen sollte man nach der letzten BITKOM-Studie für das digitale Lesen auf keinen Fall vernachlässigen), aber dafür bekommt Microsoft im Mobile-Bereich nach wie vor keinen Fuss auf den Boden. Die Surface Tablets und Surface Books werden zwar von Fachleuten als ausgezeichnete Geräte bewertet, haben aber insbesondere in Deutschland nur einen homöopathischen Marktanteil erreicht. Der Vergleich mit Google Play Books zeigt dazu, dass die Dominanz eines Ökosystems in einer bestimmten Gerätekategorie wie im Fall von Android als Mobil-Betriebssystem eben noch lange nicht ausreicht, um auch Reichweite als Content-Anbieter zu schaffen. Insgesamt wäre ich sehr verblüfft, wenn es Microsoft auf absehbare Zeit gelingen würde, im deutschen Markt mehr als ein weiterer „1%-Anbieter“ wie Google oder Kobo zu werden.

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