Anlässlich der Blogparade von e-book-news.de zu „ePublishing jenseits von DRM“ möchte ich gerne einige Anmerkungen zu diesem Thema zu machen. In weiten Teilen der Verlagsbranche gilt DRM leider nach wie vor als die technische Antwort auf die Frage „Wie kann ich mich vor Piraterie schützen?“ Dabei ist die Verlagswelt bei weitem nicht die erste Branche, die sich mit den Schattenseiten der Digitalisierung auseinander setzen muss. Auch die Filmindustrie und die Musikbranche mussten bereits die Erfahrung machen, dass die verlustfreie Kopiermöglichkeit von digitalen Inhalten schmerzhafte Effekte haben kann. Umso mehr wäre das aber ein Grund, nicht die Fehler dieser Branchen zu wiederholen.
Leider wird gerade in Deutschland das Thema DRM von der Diskussion über den Urheberrechtsschutz im Netz überlagert – mit entsprechender ideologischer und juristischer Aufladung des Diskurses. An dieser Stelle möchte ich deswegen vor allem drei Argumente nennen, warum es auch und gerade für Content-Anbieter unklug ist, auf DRM zu setzen. Alle DRM-Mechanismen haben (unabhängig von ihrer technischen Implementierung) die Wirkung, die Nutzung von Inhalten an eine bestimmte Kombination von Hardware, Software und Nutzerkonten zu binden. Dies hat jedoch neben dem unmittelbaren Kopier- und Verbreitungsschutz folgende Nebeneffekte:
DRM behindert Marktentwicklung
Solange Inhalte, wenn sie einmal gekauft wurden, nicht frei zwischen verschiedenen Umgebungen eines Nutzers verteilt werden können, schränkt dies den Kunden immer ein. In seinem Nutzungsverhalten, seinen Vorlieben für Hardware und Software und vor allem in seinem durch gutgläubigen Erwerb gegebenen Recht, die ihm gehörende Sache nach eigenem Ermessen zu nutzen. Im Bereich des digitalen Musik-Vertriebs hat Apple dies bereits vor einigen Jahren erkannt und im Gefolge des offenen Briefs „Thoughts on Music“ von Steve Jobs eine Einigung mit der Musikindustrie erzielt, im Gegenzug zu Änderungen in der Preispolitik des iTunes Store auf DRM zu verzichten.
Zwar wurde Apple dafür auch heftig kritisiert, aber der Deal, der hier gemacht wurde, ist einfach und klar: Der Marktplatz läßt sich darauf ein, den Content-Anbietern klare und kalkulierbare Marktbedingungen zu schaffen. Wenn dies gegeben ist, kann man im Gegenzug auf Schutzmechanismen verzichten, die im Grunde rein defensiven Charakter zu Abwehr von nicht kalkulierbaren Umsatzverläufen und befürchteten Verlusten haben. Können einmal gekaufte Inhalte dagegen universell und nach den Vorlieben des Kunden verwendet werden, bekommt ein legales Angebot eine ganz andere Attraktivität. Wie sich am Beispiel der Musikindustrie deutlich gezeigt hat, ist erst seit der Abkehr von DRM-Mechanismen ein Markt mit einer Dynamik entstanden, der allen Beteiligten echte Entwicklungsmöglichkeiten von Angebotsformen und Vertriebsmodellen bietet.
DRM stört ehrliche Kunden, aber nicht Piraten
Wie sich aus den regelmäßigen Reports zur eBook-Piraterie der irischen Firma Lisheennageeha Consulting zeigt, wird Piraterie in großem Umfang und mit krimineller Energie von sehr wenigen, aber extrem aktiven und dynamischen Protagonisten betrieben. Für diesen Typus versierten IT-Fachmann ist ein Umgehen von DRM-Systemen kein wirkliches Problem. Im Fall des sehr verbreiteten Adobe DRM kursieren im Netz diverse Anleitungen und Skripte zum Knacken des Kopierschutzes. Für den normalen, ehrlichen Kunden jedoch ist gerade beim Adobe DRM schon die legale Nutzung eine Hürde, die oft nicht ohne Support durch Hersteller und Händler überhaupt zu nehmen ist. Die regelmäßgen Berichte von Buchhandlungen, die versuchen Käufer bei Einrichtung und Betrieb ihrer Adobe-Umgebung zu unterstützen, sprechen hier Bände. Im schlimmsten Fall ist der Kunde vom umständlichen Handling schon so genervt, dass er alleine deswegen zu illegalen Angeboten greift.
Im Fall des Amazon-Ökosystems kann man zumindest noch argumentieren, dass das DRM hier so smart implementiert ist, dass es der Kunde in der Regel nicht merkt. Auch stehen hier mit den Kindle Apps und dem Kindle Cloud Reader genug alternative Zugangswege zum Content offen, so dass die Bindung an den Kindle als Hardware nicht so ins Gewicht fällt. Aber auch für Amazon-Kunden wird es lästig, sobald man an die Grenzen des Ökosystems stößt oder gar auf die Idee kommt, sich von seinem Kundenkonto bei Amazon zu verabschieden: Damit wird auch die Nutzung des Angebots unmöglich. Was direkt zum nächsten Punkt überleitet:
DRM macht aus dem Kauf von Content ein Nutzungsrecht
Amazon sagt es zumindest klar und deutlich: Wer hier Inhalte kauft, erwirbt kein Produkt, sondern ein Nutzungsrecht. Aber auch wer DRM-geschützte digitale Medien bei anderen Anbietern kauft, muss immer Restriktionen durch die Menge und Art an legal nutzbaren Endgeräten und/oder Software-Plattformen in Kauf nehmen. Auch sind die Mechanismen für den Einsatz der Systeme für den Kunden in der Regel so intransparent, dass bereits der Wechsel auf einen neuen PC oder ein Update einer Adobe-Software zum mittelgroßen Drama werden kann. In der Folge gerät der Kunde in eine Situation, wo aus einem vermeintlichen Kauf einer Sache ein de facto zeitlich und technisch eingeschränktes Nutzungsrecht wird. Im Musik-Vertrieb hat dies in der Vergangenheit zu Extremfällen wie den sogenannten „Un-CDs“ geführt, die in manchen Fällen nicht einmal mehr auf normalen CD-Playern abspielbar waren. Auch der Skandal um eine Sony-DRM-Software, die sich auf PCs wie ein Trojaner verhielt, um die Nutzung der Inhalte zu überwachen, hat sicher nicht dazu geführt, die Attraktivität des Angebotes zu erhöhen.
Diese Situation aber widerspricht sich mit der gängigen Politik der Verlage, eBooks möglichst nahe am Preis des Print-Produktes zu halten und so hochpreisig wie möglich anzubieten. Solange in beiden Fälle ein Kauf mit folgendem Besitz der Sache gegeben ist, wäre diese Argumentation noch haltbar (auch wenn sie von vielen Kunden so nicht geteilt wird). Aber in dem Moment, wo Kauf und Nutzungsrecht gegeneinander stehen, kann man keinem Kunden mehr übel nehmen, dass er nicht bereit ist, für dieses doch sehr unterschiedliche Nutzenversprechen denselben Preis zu bezahlen. Zumal nicht dann, wenn ihm die Situation womöglich erst im Nachhinein bewußt wird. Im Fall von eBooks ist es ohnehin so, dass neben der Möglichkeit zum mobilen Lesen die Mehrwerte des Produktes schwer zu verargumentieren sind – solange die Umsetzung im digitalen Medium eine einfache 1:1-Konvertierung in ein anderes Dateiformat ist. Verringert man aber den Mehrwert für den Kunden durch Restriktionen auch noch, dann ist nachvollziehbar, warum auch bestimmte Preiseniveaus nicht durchsetzbar sind.
Was tun statt DRM?
Aus meiner Sicht ist deswegen der beste Rat, den ich jedem Verlag und Content-Anbieter geben kann: Zeit und Geld, das in DRM-Mechanismen investiert wird, stattdessen dazu verwenden, ein attraktives und preiswertes Angebot von Inhalten zu entwickeln. Aufschlussreich kann dazu der Erfahrungsbericht eines Mediennutzers sein, der sehr offen und im Detail beschreibt, wie er vom eifrigen Filesharer zum zufriedenen zahlenden Kunden geworden ist. Die Schlüsse daraus sind einfach. In dem Moment, wo Customer Experience beim Kauf und Handling von Medien stimmen, wo Unternehmen ein einfach und intuitiv bedienbares Angebot bieten und wo ein als richtig empfundenes Preis/Leistungs-Verhältnis gegeben ist – da bezahlen Kunden auch gerne für Inhalte.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch die Berater von Lisheennageeha Consulting: Nach ihren Studien boomen illegale eBook-Portale vor allem aus zwei Gründe: a) sie bieten ein breiteres Angebot an Inhalten als die legalen Shops und b) sie sind oft deutlich besser in Usability, Auswahl und Handling als die Webpräsenzen der legalen Content-Anbieter. Für die Verlagsbranche ist dies ein deutliches Signal, dass man sich hier dringend mehr um die weitere Entwicklung des eigenen Angebotes kümmern muss, und weniger um weitere Restriktionen. Ich würde bewußt nicht so weit gehen wie Sascha Lobo mit seinem Statement „Piraterie? Ignorieren.“ von der AKEP-Jahrestagung 2012 – denn Aufmerksamkeit erfordert das Thema durchaus. Aber die Prioritäten beim Umgang damit sollten anders liegen: Nimmt man Kundenorientierung ernst, erscheint es mir schlicht sinnvoller, seine Ressourcen dafür einzusetzen, das Produkt für den Kunden besser zu machen – und nicht schlechter.
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