Google Play Books und EPUB3: Was kann der Reader wirklich?

Anfang Juli durfte man aus diversen Quellen erfahren, dass Google im Zuge der neuesten Partner-Programm-Richtlinien auch einige neue Features in seinen Play Books-Reader integriert hat, darunter auch die Unterstützung für EPUB3. Das macht natürlich hellhörig, denn seit der Veröffentlichung des Standards wartet die Digital Publishing-Gemeinde darauf, dass das Format sich in Markt und Technik durchsetzt. Zudem sind bei Google als einer der federführenden Unternehmen im Readium-Projekt die Erwartungen durchaus hoch, wenn hier eine Implementierung von EPUB3 vorgelegt wird. Gleichzeitig ist bei ebenso vollmundigen wie pauschalen Ankündigungen wie im Richtlinien-Text immer Vorsicht geboten, denn erst im Test zeigt sich in der Regel, ob die Software auch halten kann, was das Marketing verspricht. Was kann Google Play Books im Bereich EPUB3 also wirklich?
 

Test-Umgebung und Test-Dateien

Zum Test wurde Play Books in der Version für iOS sowie in der Browser-Variante für Chrome auf einem Windows-Notebook verwendet, die beiden Versionen stellten sich dabei funktional als weitgehend identisch heraus. Als Testdateien für die verschiedenen EPUB3-Features dienten sowohl diverse Dateien aus dem EPUB3 Sample Files-Projekt des IDPF, als auch verschiedene eBooks aus der realen Welt: HTML5 for Publishers (Sanders Kleinfeld), EPUB3 Best Practises (Matt Garish), eBook Typography (Chris Jennings) und Digital Publishing (Hannes Köpnick) – mit diesem Testsortiment lassen sich die zentralen EPUB3-Funktionen recht gut durchspielen.

Als Hürde für derartige Tests stellt sich dabei immer wieder heraus, dass zwar sowohl im Apple iBookstore als auch im Play Books Store EPUB3-Dateien angeboten werden können, aber man nicht nach ihnen suchen kann. Dafür kann man sich die inzwischen in Play Books integrierte Möglichkeit zum Upload eigener eBook-Dateien in den Google Account zu Nutze machen. Upload wie Kauf von eBooks kann dabei ausschließlich über die Browser-Anwendung erfolgen, der Upload von eigenen Dateien ist auf 50 MB pro Dokument beschränkt.

EPUB3-Formalia und HTML5-Dokumente

Der Upload-Mechanismus zeigt: EPUB3-Dateien werden beim Import sauber erkannt und auch nach den Regeln für EPUB3 validiert, die neuen Grundstrukturen von EPUB3 wie die geänderte Manifest-Datei und das EPUB Navigation Document werden sinnvoll behandelt. Speziellere EPUB3-Strukturen wie das erweiterte Metadatenmodell, die Landmarks zur Abbildung der Buchstruktur oder auch die Page-List zur Hinterlegung der Paginierung werden zwar mit importiert, aber nicht angezeigt oder durch Reader-Funktionen unterstützt.

Die Verwendung von HTML5 für den Dokument-Content wird ebenfalls sauber und durchgängig behandelt: Dokumente mit HTML5-Doctype werden als valide erkannt und die Erkennung von CSS-Formatierungen auf neue Elemente wie <nav> oder <aside> funktioniert problemlos. Die Verwendung der semantischen Ergänzung von HTML5-Elementen durch das EPUB-spezifische epub:type-Attribut ist zwar möglich (z.B. zum Auszeichnen von Fussnoten), wird aber noch an keiner Stelle durch Funktionen unterstützt, wie etwas unter iBooks mit seiner 2012 eingeführten Fussnoten-Darstellung.

Gestaltung und CSS-Unterstützung, Fixed Layouts

Im Bezug auf die gestalterischen Möglichkeiten von EPUB3 macht Play Books eine recht gute Figur: Alle zentralen CSS-Eigenschaften zur Gestaltung von Text und Textrahmen werden unterstützt, sei es Rahmengestaltung, Rasterung, Schattierungen, Textumfluss um Bilder und Objekte oder die Verwendung von Farbverläufen und Halbtransparenzen. Zum Teil werden hier sogar CSS 3.0-Eigenschaften angewandt, die laut EPUB3-Spezifikation gar nicht unterstützt werden müßten. Zusammen mit der Möglichkeit der Einbettung von eigenen Webfonts in die EPUB-Datei entstehen so Gestaltungsmöglichkeiten für bereits sehr anspruchsvolle Layouts für Reflow EPUBs. Auch Media Queries für die Erkennung von Display-Eigenschaften und den Einbau von Layout-Weichen, die darauf reagieren, funktionieren unter Play Books. Die einzige wesentliche Lücke in den Darstellungs-Features betrifft die fehlende Unterstützung für mehrspaltige Layouts – verschmerzbar insofern, als ich diese Darstellungsform in eBooks ohnehin nur für mäßig nützlich halte.

Möglichkeiten für Textgestaltung und Darstellung in Play Books

Auch EPUB3-Dateien, die die Fixed Layout-Variante für die Darstellung verwenden, werden von Play Books unterstützt. Damit sind auch Seitengestaltungen mit festen Aufbau und komplexer Text-Bild-Positionierung durch fixe Größen- und Abstands-Angaben innerhalb eines pixelbasierten Seitenrahmens möglich. Wichtig für Content-Produzenten ist aber: Play Books unterstützt nur die Fixed Layout-Spezifikation des IDPF, nicht diejenigen von Apple bzw. von Amazon. Spätestens mit dieser Implementierung wäre die Fragmentierung der Ökosysteme im Bezug auf Fixed Layout-Dokumente komplett: Jeder der großen drei verwendet sein eigenes Format.

Anzeige von Fixed Layout-eBooks in Play Books

Multimedia

Im Bereich Multimedia, d.h. der Integration von Audio- und Video-Dateien in eBooks, erlebt man bei Test die erste große Enttäuschung: Hier ist keinerlei Unterstützung vorhanden. Überhaupt keine. Weder werden eingebettete Multimedia-Dateien angezeigt noch abgespielt, und auch im Fallback-Mechanismus evtl. hinterlegte Ersatztexte erscheinen nicht (böses Foul in einer Browser-basierten Anwendung). Dieser Punkt war wohl eine der Sollbruchstellen im Product Backlog für die erste Implementierung und hinterläßt erst einmal einen bitteren Nachgeschmack, denn iBooks und inzwischen selbst die Kindle-Apps unterstützen diese Funktionalität mittlerweile selbstverständlich.

Von anspruchsvolleren Medien-Funktionen wie Text-To-Speech, Vorlese-Funktionen oder den Media-Overlays zur Synchronisation von Audio-Dateien und Textfluss muss man unter diesen Voraussetzungen gar nicht erst reden: Fehlanzeige. Und auch die bereits erwähnten 50 MB Größenlimit für den Upload eigener Dateien sind für eBooks mit Multimedia-Inhalten schon sehr knapp bemessen – bei Video-Content erreicht man diese Dateigröße je nach Qualität schon mit wenigen Minuten eingebundenen Filmen. Will Google dieses Feature also integrieren, müssten sie nicht nur einiges an der Anwendung, sondern auch an der Infrastruktur tun, damit diese Funktionen sinnvoll nutzbar sind.

Javascript

Für interaktive und dynamische Content-Darstellung in enhanced eBooks ist eine Unterstützung für Javascript unabdingbar. Hier klafft die zweite große Lücke in der Umsetzung von EPUB3 bei Play Books: Javascript ist komplett deaktiviert und wird nicht dargestellt. Ob dies auf Sicherheits-Erwägungen, die Komplexität der Implementierung oder die Prioritäten in der Entwicklung zurückgeht, darüber kann nur spekuliert werden, jedenfalls bleibt dieses für EPUB3 zentrale Feature außen vor. Zumindest ist die Anwendung hier so freundlich, die Fallback-Texte anzuzeigen bzw. den Anwender darauf hinzuweisen, dass an der entsprechenden Stelle eine Script-Anwendung wäre – wenigstens etwas, ist man schon fast geneigt zu sagen.

MathML, SVG, Canvas

Für die Integration von komplexeren graphischen Inhalten hält EPUB3 ja einige Möglichkeiten bereit: Sowohl die Visualisierung von mathematischen Formeln über den XML-Standard MathML als auch die Darstellung von skalierbaren Vektorgrafiken über das ebenfalls XML-basierte SVG-Format werden von Play Books unterstützt. Auch das Styling von MathML und SVG über CSS erfolgt sauber und ohne Probleme. Allerdings wirkt sich auch hier die fehlende Javascript-Implementierung aus: Damit könnten für MathML-Formeln auch Funktionen und Rechen-Möglichkeiten zur Laufzeit hinterlegt werden, oder etwas SVG-Grafiken mit Animationen versehen werden. Gleiches gilt für die Canvas-Technologie – da es sich hier um eine reine Schnittstelle für 2D/3D-Grafikbibliotheken in Javascript handelt, bleiben die etwa in HTML5 for Publishers reichlich eingebundenen Beispiele funktionslos. Auch hier gilt leider: Warten auf die nächste Version ist angesagt…

Darstellung von MathML/SVG und Gestaltung mit CSS in Play Books

Darstellung von MathML/SVG und Gestaltung mit CSS in Play Books

Weitere Features und Funktionen des Readers

Anzeige von Link-Inhalten in einem WebView-Layover

Anzeige von Link-Inhalten in einem WebView-Layover

Über die Funktionen des Readers hatte ich ja bereits im Sommer letzten Jahres berichtet – hier hat sich neben der Unterstützung für asiatische Sprachen und der Einbindung der bekannten Google-Online-Dienste für Übersetzung und Suche nach Wort-Definitionen nichts wesentliches getan. Auf der diesjährigen Google I/O war dazu nur zu hören, dass die Forcierung von Maps als Schlüssel-Anwendung sich mittelfristig auch in einer tieferen Maps-Integration für Play Books niederschlagen soll.

Eine sehr überzeugende Komponente ist aber neu in Play umgesetzt worden: Internet-Links in EPUB-Texten werden nun nicht mehr in einem neuen Browser-Fenster unter Wechseln der Anwendung angezeigt, sondern erscheinen in einem WebView-Layover innerhalb der Anwendung – ähnlich wie bei Atavist bzw. der TED-Books-App realisiert. Was zunächst trivial klingt, hat beim Lesen verblüffende Effekte: Der Medienbruch an dieser Stelle wird komplett vermieden und Web-Inhalte wirken viel mehr als ein Teil des eBooks. Eventuell läßt sich mittelfristig auf diesem Weg auch die Auslagerung von dynamischen Komponenten wie Javascript-Widgets lösen, ohne dass dies für den Leser allzu unkomfortabel wirkt.

Fazit

Der momentane Stand von Google Play Books hinterlässt einen sehr zwiespältigen Eindruck: Auf der einen Seite ist es sicher prinzipiell erfreulich und ein Schritt in die richtige Richung, dass die Anwendung auch EPUB3-Dateien importieren und in wesentlichen Teilen zumindest korrekt anzeigen kann. Google hat sich jedoch für die erste Version seines EPUB3-Readers klar auf diejenigen Features beschränkt, die für Anzeige, Darstellung und Layout relevant sind und dafür alle funktionalen Aspekte wie Multimedia-Integration und Javascript-Unterstützung komplett aussen vor gelassen. Am Ende entsteht dabei das etwas enttäuschende Bild einer 50%-Implementierung, die deutlich hinter das zurückfällt, was das Unternehmen mit der Readium-Extension für seinen Chrome-Browser bereits erreicht hat. Selbst kleinere Player im eBook-Markt wie Sony oder Samsung haben hier schon deutlich bessere Reader-Software im Angebot. Zu hoffen bleibt, dass Google hier schnell nachlegt, wenn das Readium-Projekt einmal die Beta-Phase verlassen hat. Im momentanen Zustand jedenfalls kann man eigentlich keinem Content-Anbieter mit gutem Gewissen empfehlen, EPUB3-Dateien auf dieser Plattform anzubieten.

5 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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  2. Hallo,

    danke für den Artiekl. Eine Frage Audio- und Videoeinbettung: ist es bei den Kindlegeräten tatsächlich möglich Audio- und Videodateien einzubetten? Bisher war mir dies nur bei der Kindle App fürs iPad bekannt.

    Schöne Grüße,
    Ismael

  3. Hallo Ismael,

    die Kindle-Geräte verwenden ja mit KF8 alle das gleiche Format. Darin ist es generell möglich Audio- und Video-Dateien einzubinden, aber nicht alle Geräte spielen sie auch ab. Die Kindle Fire-Tablets können das inzwischen, die Kindle eInk-Reader nicht. Bei Audio-Wiedergabe könnte Amazon ggf. in Zukunft nachbessern und zumindest die jüngeren Kindles, z.B. den Paperwhite nachrüsten. Bei Video ist dies aufgrund der langsamen Reaktionsgeschwindigkeit der eInk-Display auch mittelfristig ausgeschlossen.

    Viele Grüße,
    Fabian

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