Letzten Sommer habe ich auf dem Buchcamp 2013 eine Session zum Thema „Wege zum enhanced Print“ gehalten – mit der Fragestellung, wie Ideen aus der Welt der multimedialen enhanced eBooks auch dazu verwendet werden können, das Print-Portfolio aufzuwerten und eine Verzahnung zwischen Print, eBooks, literarischen Events und anderen Teilen des Verlagsangebots zu schaffen. Neben den damaligen Überlegungen und Diskussionen finden sich immer wieder ähnliche Ideen für eine Mischung und Überlagerung von Produkttypen in der Verlagswelt, von denen ich nun einmal wieder einige vorstellen möchte.
Das Buch und der 3D-Drucker: ein absurdes Paar?
3D-Drucker sind mittlerweile eine Technologie, die zwar ihre ersten Kinderkrankheiten hinter sich hat und sich langsam auf das Stadium industrieller Serienreife zubewegt. Dennoch ist der 3D-Druck noch weit von der Massenverbreitung entfernt, auch wenn eine aktuelle Studie der BITKOM ein wachsendes Interesse auch in Deutschland registriert. Umso erstaunlicher ist es aber, dass aktuell gleich zwei Projekte erschienen sind, die das Print-Buch mit dem 3D-Druck verbinden.
Leo, the Maker Prince
„Leo, the Maker Prince“ von der US-Autorin Carla Diana, über das jüngst ausführlich in der Wired berichtet wurde, ist ein Kinderbuch-Projekt, das 3D-Druck sowohl zum Inhalt hat, als auch in der Form realisiert. Die Handlung führt Kinder spielerisch an das Thema heran und nutzt anspruchsvolle Illustration, um scheinbar nebenbei ein Zukunftsthema einzuführen, als wäre es ganz selbstverständlich.
Der Clou an dem Projekt ist aber, dass alle im Buch vorkommenden Charaktere und Gegenstände auch als Makerbot-fähige 3D-CAD-Dateien vorliegen, die über Verlinkung aus dem Buch heraus im Makerbot Thingiverse und auf Github abgerufen werden können. Wer als Kind alleine oder zusammen mit seinen Eltern Zugang zu einem 3D-Drucker hat, kann sich die Inhalte seiner Erlebniswelt so selber herstellen – die Bandbreite der Inhalte reicht von einfachen Charakter-Figuren über kleine Musikinstrumente bis hin zu einem futuristischen Hamster-Habitat.
Sicher ist ein Produktaufbau wie dieser kaum auf beliebige Inhalte übertragbar, aber er zeigt auf bisher singuläre Weise, wie das Medium Kinderbuch mit einer Erlebnis- und Lernwelt verzahnt werden kann.
On such a full sea
Fast zeitgleich berichtet das TIME-Portal über ein Buchprojekt des Penguin-Ablegers Riverhead Books: Für eine limitierte Sonderausgabe von „On such a full sea“ des US-Autors Chang-rae Lee wurde eine Grafikerin beauftragt, nicht nur ein Print-Cover zu gestalten, sondern auch einen Schuber der ganz besonderen Art. In Zusammenarbeit mit Makerbot entstand auf diese Weise der erste dreidimensionale Schutzumschlag. Neben der extravaganten Optik nimmt die 3D-Gestaltung auch das Umschlag-Motiv auf und verlängert es buchstäblich in die dritte Dimension – ein sicherlich in dieser Art einzigartiges Produkt.
Gestaltungen dieser Art werden sich kaum für etwas anderes eignen als für limitierte Sonderauflagen – selbst wenn 3D-Design und -Druck mittelfristig deutlich günstiger werden sollten. Die Ausgabe mit dem 3D-Cover kostet immerhin stolze 175$, was zeigt, dass sich Riverhead Books selbst für so hochpreisige Liebhaber-Produkte neben dem zweifellos angestrebten Publicity-Effekt auch einen Markt (oder zumindest einen Markt-Test) verspricht. Dennoch zeigt das Beispiel, wie sich der Trend zur Aufwertung der Print-Ausgabe auch in ganz extravaganter Weise denken lässt.
Helen Yentus, Art Director bei Riverhead Books, zeigt Gestaltungs- und Herstellungprozess des 3D-Covers
Instagram-Produkte: Mehr als nur Spielerei?
Seitdem visuelle soziale Netzwerke wie Pinterest oder Instagram boomen, verwenden auch immer mehr Marken ihre Präsenz auf diesen Plattformen für aktives Content Marketing. Ein neuer Anbieter auf dem immer großer werdenden Markt für Produkte auf Basis von Instagram-Content ist das US-Portal Printstagram: hier werden zunächst vor allem Fotodrucke, Postkarten, Grußkarten und Visitenkarten auf Basis des eigenen Instagram-Fotostreams angeboten – natürlich stets im typischen quadratischen Bildformat. Das neueste Angebot im Portfolio sind Fotobücher im Kleinformat, insbesondere die sogenannten „Tinybooks“ im Format 37mm * 44mm, d.h. quasi in der Größe eines Daumenkinos.
Wer als Content-Anbieter bereits Instagram für Content-Marketing nutzt, oder etwa Kampagnen auf Basis von User Generated Content realisiert, hat mit diesem Dienst die Möglichkeit, sehr kostengünstig Zusatzprodukte herstellen zu lassen. Diese lassen sich zum Beispiel für niedrigpreise Zusatzvermarktung nutzen, als Werbeträger oder für die Unterstützung von Aktionen in der realen Welt, etwa bei Lesungen oder Events. Interessant könnte hier auch ein Print/eBook-Bundle sein, etwa indem das Tinybook als körperliches Produkt zum Mitnehmen und Verschenken genutzt werden, während das eBook zum Beispiel durch einen eingedruckten Download-Code mitgegeben werden kann. Besteht durch den Produkt-Aufbau die Möglichkeit zum Nutzen von attraktivem Foto-Content, dann können so echte „kleine Hingucker“ geschaffen werden, die Fans zum Mitnehmen geradezu einladen.
Bridging Book: ein Hybrid aus Print und eBook
Aus dem portugiesischen Medienlabor engageLab kommt ein Pilotprojekt der besonderen Art für interaktive Kinderbücher: das Bridging Book. Bei dieser Kombination aus Print-Buch und Tablet-basiertem eBook besteht der Clou darin, dass die Inhalte der beiden Produktteile komplett unabhängig voneinander sind, und sinnvoll nur zusammen konsumiert werden können. Die Synchronisation der Produkte erfolgt dadurch, dass in das Print-Buch Magneten eingelassen sind, deren Signale über den Kompass des Tablets durch die eBook-App ausgelesen werden können. Durch die Kombination von Print-Seite und eBook-Content entsteht so eine synchronisierte, medienübergreifende Lese-Erfahrung.
Bridging Book from engageLab on Vimeo.
Ein Aufruf zu mehr Phantasie
Natürlich ist bei allen diesen Beispielen – genau so wie bei denen aus dem letzten Jahr – eines klar: Weder eignen sie sich zur Übertragung auf jedes beliebige Produkt, noch für einen Massenmarkt oder für Buchhandels-Bestseller. Sie zeigen aber, wie durch phantasievolle Erweiterung des Print-Buchs Liebhaber-Produkte gestaltet werden können, die die Wertigkeit des Mediums hochhalten und Erlebnisse schaffen, die sich von Massen-Ware abheben. Und genau dieser Faktor wird am Ende darüber entscheiden, ob vom Buch nur noch formloser Content übrig bleibt, der beliebig distribuierbar ist – ein Spiel, das Player wie Amazon aufgrund ihrer Größe leicht gewinnen können. Die Alternative könnte darin bestehen, dass sich Verlage und Buchhandel als Anbieter einzigartiger Erlebniswelten ein neues Alleinstellungsmerkmal schaffen. In diesem Sinne: Mehr Phantasie!
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