Über die letzten Jahre hinweg habe ich immer wieder über Augmented-Reality-Projekte in der Verlags- und Medien-Branche berichtet. Denn über das persönliche Interesse an dieser Zukunftstechnologie hinaus halte ich visuelle Medien wie Augmented Reality, Virtual Reality und 360-Grad-Imaging für einen Bereich, der großes Potenzial für unsere Branche zu bieten hat – und den man nicht den Gaming- und Unterhaltungsanbietern alleine überlassen sollte. Immer wieder stellt sich in der Beratung zu diesem Thema die zentrale Frage: Wenn die Produktidee einmal steht – wie geht man ein Projekt für Augmented Reality konkret an? Welche Schritte sind zu tun und auf was muss ich in der Praxis achten? Ein Leitfaden für die praktische Umsetzung:
Produktidee und Konzeption
Der erste, zentrale Schritt ist wie bei jedem anderen Projekt auch eine mediengerechte Produkt-Konzeption. Dabei ist ausschlaggebend, einen Anwendungsfall abzudecken, der für den Nutzer einen echten Mehrwert gegenüber anderen Medien und Anwendungen besitzt. Üblicherweise wird man in der Konzeption mit einer einzelnen Idee für eine Funktionalität oder einen Mehrwert für den Kunden beginnen.
Über die erste Idee hinaus ist es entscheidend für ein gutes Produktkonzept, relativ schnell folgende Fragen schlüssig zu beantworten:
- Was ist die Zielgruppe des Produktes? Eignet sich der Kundenkreis für den Einsatz von innovativen Technologien? Wie sieht die „Technik-Welt“ des Kunden aus?
- Was ist der konkrete Nutzen der Inhalte für den Kunden? Wo bringt die Ergänzung echten Mehrwert gegenüber anderen medialen Aufbereitungen?
- Wie kann das Einsatz-Szenario am Nutzungsverhalten des Kunden ausgerichtet werden? Wie sieht der Anwendungsfall konkret aus und wo kann sich eine AR-App hier optimal einklinken?
- Wozu dient die Ergänzung in Ihrem Geschäftsmodell? Ist ein eigenständiges Produkt das Ziel, dient die AR-Funktion der Aufwertung eines bestehenden Produktes oder eher zur Vermarktung von Content und Produkten?
Feinkonzept für eine AR-Applikation
Ist eine schlüssige Idee gefunden, müssen Interaktionsmodell, Inhalte und Anwendungsfunktionen für die Applikation konzipiert werden. Als Checkliste für diese Konzeption können dabei folgende Leitfragen dienen:
- Was soll mit der Anwendung an Nutzen erreicht werden? Dies ist natürlich die zentrale Frage für ein Applikationskonzept – die Antwort klar und präzise zu formulieren, hilft enorm bei der Fokussierung des Produktdesigns aus dem Anwendungsfall heraus. Zum Beispiel: Der Anwendungsfall „Der Leser soll direkt von einer Abbildung in einem Print-Produkt zu vertiefendem Content springen können, ohne URLs zu tippen“ bedingt ein völlig anderes Produktkonzept als z.B. der Use Case „Der Kunde soll an beliebigen Punkten einer Stadt geolokalisierte Daten aus der Fachdatenbank des Verlags abrufen können“.
- Funktionalität und Bedienkonzept lassen sich auf Basis dieser ersten Grundentscheidung in der Regel relativ klar ableiten. Der Anwendungsfall „Der Leser soll direkt von einer Abbildung in einem Print-Produkt zu vertiefendem Content springen können, ohne URLs zu tippen“ bedeutet z.B., dass immer 2D-Bilder als AR-Trigger verwendet werden und die wesentliche Funktion der Applikation darin besteht, auf dieser Basis eine verlinkte URL im Browser aufzurufen.
- Für die Frage, welche Funktionalität über die eines Standard-AR-Frameworks hinaus erforderlich ist, wird bereits eine Abstimmung mit einem AR-Experten oder Entwicklungspartner sinnvoll sein. Sehr viele Anwendungsfälle lassen sich bereits mit Standard-Funktionen von AR-Frameworks abbilden, ohne dass aufwändige Zusatzprogrammierung notwendig ist.
- Welcher Content ist notwendig und wie soll er in der Applikation dargestellt werden? Diese Frage wird sinnvollerweise mit Sichtung und Sammlung vorhandener Inhalte beginnen und in der Erstellung eines redaktionellen Konzepts resultieren. Es sollte dabei nicht vergessen werden, dass neben der technischen Implementierung Content-Design und mediengerechte Aufbereitung der Inhalte einer der wesentlichen Kostenfaktoren in AR-Projekten ist.
Content-Design und redaktionelles Konzept
Für den redaktionellen Teil der Feinkonzeption ist es nützlich, sich der Metapher des Drehbuchs zu bedienen. Ähnlich wie bei einem Filmskript müssen stets drei Komponenten berücksichtigt werden: Bühne, Inhalte und Regieanweisungen – und damit die Fragestellungen: Welche Objekte oder Bilder sollen als Auslöser für die AR-Inhalte verwendet werden? Welche Inhalte sollen mit diesen Objekten verknüpft oder überlagert werden? Und wie sollen diese beiden Elemente am Ende funktional zusammenspielen?
Ähnlich wie bei einem Storyboard für einen Film ist es hilfreich diese drei zentralen Elemente miteinander zu konzipieren, um sich den Zusammenhang von Content und Funktionen zu verdeutlichen:
Erst wenn dies klar ist, macht es Sinn, über Nutzeroberfläche, Bedienelemente und Implementierung im Detail nachzudenken.
Rollen und Beteiligte im Projekt
Bei der Umsetzung im AR-Projekt sind Team-Mitglieder beteiligt, die man aus Verlagsprojekten vermutlich kaum kennt: Neben der klassischen Rolle des Gestalters hat das Produkt-Design eine zentrale Funktion – denn mit der Interaktivität des Content, der sinnvollen medialen Verknüpfung und der Schaffung nützlicher Anwendungsfälle wird hier der Dreh- und Angelpunkt einer guten AR-Anwendung geschaffen. Die Integration in eine lauffähige Anwendung erfolgt am Ende durch einen AR-Designer oder einen Software-Entwickler, der in diesem Bereich spezialisiert ist.
Idealtypisch sieht eine Rollen- und Aufgaben-Verteilung im Projekt etwa so aus:
Lessons learned
Die Augmented-Reality-Projekte der letzten Jahre in der Verlags- und Medienbranche haben aus meiner Sicht folgendes gezeigt:
- AR-Einsatz macht überall dort am meisten Sinn, wo eine direkte Visualisierung von zusätzlichen Inhalten im realen Raum einen echten Informations-Mehrwert bietet. In der Regel ergeben sich daraus die schlüssigsten Anwendungsfälle.
- Die Anwendungsfälle sollten sich organisch aus einem echten Nutzer-Bedürfnis ergeben (und nicht „erzwungen“ werden). Augmented-Reality-Projekte umzusetzen, „weil man es kann“ – macht leider allzu oft keinen Sinn.
- Eine gute AR-App hat auch ohne die AR-Funktionalität einen eigenständigen Nutzwert – zum Beispiel weil der enthaltene Content auch erschlossen werden kann, ohne AR-Trigger zu verwenden.
- Verständliche Kommunikation der Funktionalität und gutes Usability-Design ist für den Erfolg des Projektes mindestens genauso wichtig wie ein stimmiger Anwendungsfall – momentan ist AR noch als Technologie anzusehen, die Nutzer nicht ohne weiteres intuitiv verstehen.
Sie wollen mehr wissen?
Dieser Artikel erscheint parallel zur Veröffentlichung bei digital publishing competence auch in Steffen Meiers digital publishing report, den ich Ihnen zur Lektüre ebenfalls sehr empfehlen möchte. Wenn Sie Bedarf an weiterem Knowhow für Ihre App-Projekte haben, sehen Sie sich gerne einmal das Seminar „Augmented Reality, Virtual Reality und 360°-Videos – Innovative Technologien für neue Content-Formate“ an, das ich dazu im März 2017 zusammen mit Martin Adam von mCrumbs bei der Akademie der Deutschen Medien veranstalte. Daneben stehe ich Ihnen natürlich für Inhouse-Seminare, Workshops oder Projektberatung zur Verfügung – kommen Sie dazu jederzeit auf mich zu!